1. Verkündigungsaltar (Ende 15. Jhd., Abb. 13)
Manchen wird es wundern, daß die Szene von der Geburt Christi mit zu den Passionsdarstellungen gezählt wird. Aber Christi Passion begann nicht erst, als er von Judas verraten wurde und sich im Garten Gethsemane die Stricke um seine Hände legten. Christi Passion begann schon als die Propheten, die sein Kommen ankündigten, verlacht, vertrieben und verurteilt wurden. Als bei der Geburt kein Raum in der Herberge für ihn war. Als Maria und Josef mit dem Neugeborenen vor den Schergen des Herodes fliehen mussten.
Also nicht erst der Mann des Wortes und der Tat, schon das Kind Jesus war der Feindschaft der Menschen ausgeliefert. Auf dem Mittelfeld unseres Altarschreins trägt Maria deshalb ein Kleid mit der Blutfarbe Rot, die den späteren Leidensweg Christi symbolisiert.
2. Anna-Selbdritt-Gruppe des Verkündigungsaltars (Ende 15. Jhd., Abb. 14)
Seit dem 13. Jahrhundert gibt es in der christlichen Kunst sogenannte Anna-Selbdritt-Gruppen: Unser Verkündigungsaltar zeigt in der oberen linken Reihe Maria eng an der Seite ihrer Mutter Anna. Anna wird nicht in der Bibel, wohl aber in außerbiblischen Evangelien und in Legenden erwähnt. Das Jesuskind auf Marias Arm streckt die Hände zum Kreuz aus - ein symbolischer Hinweis auf seinen Passionsweg.
3. Kruzifix (Ende 14. Jhd.)
Das mit Bergkristallen und Glasflüssen besetzte und in Gold gefaßte Kruzifix über dem Vierungsaltar (Abb. 20) ahmt die Goldschmiedearbeiten des Mittelalters nach. Der skeletthaft magere Körper, das vom Sterben gezeichnete Antlitz, die Wundmale an Körper, Händen und Füßen betonen auf sehr realistische Weise das Leiden Christi. Das ist typisch für die Kunst der Gotik (ca. 1250-1520). Der gotische Stil stellt den leidenden Christus in den Vordergrund, der den Weg der Niedrigkeit und des Dienens geht. Vermutlich ist diese beeindruckende Kreuzesdarstellung ein Vortragekreuz gewesen, das bei Prozessionen mitgeführt wurde.
4. Kreuzigungsszene des Hochaltars (um 1850)
Der Hochaltar aus dem 19. Jahrhundert zeigt eine Kreuzigungsszene im Stile der romanischen Kunst (ca. 950-1250). Anders als bei gotischen Kreuzesdarstellungen hängt Christus nicht am Kreuz als zusammengesunkener Leib im Todeskampf. Aufgerichtet steht er da. Selbst das Haupt unter der Dornenkrone, die fast wie eine Krone aussieht, ist erhoben. Hier wird der am Kreuz triumphierende Christus dargestellt, der den von Gott aufgetragenen Weg vollendet hat.
5. Pelikan-Skulptur des Sakramentshauses (um 1500)
Das bis in die Gewölbezone des Chorraumes emporragende spätgotische Sakramentshaus wird von einem Pelikan mit seinen Jungen bekrönt (Abb. 19). Nach einer frühchristlichen Legende reißt der Pelikan seine Brust auf, um mit seinem Herzblut die Jungen zu nähren. Deshalb gilt er als Symboltier für den Opfertod Christi, der im Heiligen Abendmahl vergegenwärtigt wird. Schon im sogenannten Physiologus, einer naturgeschichtlich-religiösen Schrift des 2. Jahrhunderts, wurde der Pelikan auf Christus bezogen, der sein Blut für das Heil der Welt vergossen hat. Im 13. Jahrhundert dichtete Kirchenvater Thomas von Aquin: "Lass Jesus, Herr und Heiland, teurer Pelikan, von deinem Blut mich Reinigung empfahn."
6. Grabplatte (um 1200, Abb. 4)
Die trapezförmige Grabplatte zeigt im Halbrelief ein romanisches Vortragekreuz, wie es bei Prozessionen verwendet wurde. Der halbrunde Bogensockel, auf dem das Kreuz steht, gilt in der christlichen Kunst als Symbol für den Ort der Kreuzigung Christi, den Hügel Golgatha. Ungewöhnlich sind die beiden wurzelartigen Auswucherungen am unteren Stabende. Vermutlich hat der mittelalterliche Bildhauer das Vortragekreuz als im Erdreich verwurzelten "Baum des Lebens", als Symbol also einer lebendigen Auferstehungshoffnung, darstellen wollen.
7. Grabplatte des Claus Fridach (gest. 1558)
Auf vielen Grabplatten und Epitaphien der Stiftskirche ist der gekreuzigte Christus zu sehen. Eine besondere Darstellung zeigt die Grabplatte des Claus Fridach (Abb. 22). Gottvater hält den gekreuzigten Christus in seinen Händen: "Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab." (Johannes 3, 16). Die Taube als Symbol des Heiligen Geistes zwischen Gottvater und Kruzifix macht aus dieser Darstellung ein Bild der heiligen Dreieinigkeit.
Das Kreuz hat die Form eines T (griechisch: "tau" in Entsprechung zum hebräischen Buchstaben "taw"), nach Hesekiel 9, 3-4 das Zeichen der Gerechten, das ihnen auf die Stirn geschrieben wird.
Das T in Kreuzform ist schon in frühchristlicher Zeit gebräuchlich. Später wird es als Antoniuskreuz (Antonius - ägyptischer Heiliger um 250) zum Zeichen der Antoniter, einer im 11. Jahrhundert entstandenen Vereinigung, deren Aufgabe die Krankenpflege in den Hospitälern war. Dieser Aufgabe fühlten sich auch die Wunstorfer Stiftsdamen verpflichtet.
8. Grabplatte des Lulef Lesbarch (gest. 1569, Abb. 23)
Die Grabplatte zeigt den Verstorbenen als Beter vor dem mit einem Lendentuch bekleideten Christus, der auf einem Stuhl sitzt. Dieser Bildtypus, in der christlichen Kunst "Christus im Elend" oder "Christus in der Rast" genannt, gehört in den szenischen Zusammenhang der Passion: Christus sitzt ermattet von der Geißelung und dem Tragen des Kreuzes und erwartet den Kreuzestod. Er stützt sein Haupt in die Hand und bezeugt mit dieser alten Gebärde der Klage und der Trauer seinen Zustand. Die Darstellung des "Christus im Elend" findet sich auf Grabplatten, vor allem aber auf plastischen Andachtsbildern, vor denen sich der Betrachter in das Leiden des Erlösers versenken konnte.
9. Holz-Kruzifix von Ostap Rebmann 1997, (Abb. 24)
Dieses eindrucksvolle Kunstwerk der Stiftskirche stammt aus dem Jahr 1997. Das Kruzifix spiegelt all die Verzweiflung des Künstlers, der aus der Ukraine fliehen musste und mehrere Jahre in Wunstorf im Kirchenasyl lebte. Christus ist am Kreuz mit schmerzhaft verzerrtem Gesicht zusammengesunken. Aus dem Kreuz ragen Hände heraus, mit denen Gott den leidenden Jesus hält. Ein Motiv, das bereits auf dem Grabstein von Clawes Fridach im nördlichen Querschiff auftaucht.
Seit das Kreuz in der Kirche steht, wird es als Gebetskreuz genutzt. Bitten und Dank werden hier vor Gott gebracht. Zahlreiche Gebetszettel zeugen davon.