Wenn ich auf das Parament blicke, springen mir verschiedene Bilder entgegen: Das erste ist der weiße Halbkreis, der die Säulen des Altaraufbaus verlängert und so den Eindruck ungeheurer Weite vermittelt. Mit der senkrechten weißen Linie in der Mitte für mich ein Bild für den segnenden Christus, der vor seinem Abschied den Heiligen Geist verheißt. In seinen segnenden Armen wird die Welt mit all ihrer Vielschichtigkeit umschlungen. „Ich will euch segnen und ihr sollt ein Segen sein!“ (Gen 12, 2). Mit der Verlängerung in den Rundbogen des Altars hinein wirkt es so als würde er wirklich die ganze Welt umfassen.
Das zweite markante Bild ist im mittleren Feld: schwarze Linien gehen nach oben in orange über. Erinnerung an die erste Selbstvorstellung Gottes in der Bibel:
Gott zeigt sich Mose im brennenden Dornbusch, der trotz Feuer nicht kleiner wird. (Exodus 3, 1-15). Neugierig nähert sich Mose diesem Phänomen. Gott stellt sich ihm vor als derjenige, der sein auserwähltes Volk begleitet. „Ich bin der ich bin“ oder „Ich werde sein, der ich sein werde“. Beides ist im hebräischen Text möglich. Gott zeigt sich in seiner Dynamik und Unbegreiflichkeit. Spätere Theologen haben genau solche Bilder zum Anlass genommen, um die Lehre von Gott in das Bild der Dreieinigkeit zu fassen. Schöpfer, Sohn und Heiliger Geist. Drei Erscheinungsformen des einen Gottes. Durch nichts zu trennen, aber in unserer Wahrnehmung doch so unterschiedlich, dass wir sie nicht mit einem Wort fassen können.
Gleich mehrfach greift das Parament diese Dreiteilung der Wahrnehmung auf: Die drei Streifen, die sich senkrecht durch das Bild ziehen, wie auch die drei Flammen bilden die Trinität, die Dreieinigkeit Gottes ab. Farblich gehen die Flammen gut in den goldenen Schmuck unseres Hochaltars über und betonen so noch einmal die göttliche Weite.
Das Bild des Feuers wird im Neuen Testament wieder aufgenommen. In der Pfingstgeschichte (Apg. 2, 2) wird erzählt, dass sich der Heilige Geist wie Feuerzungen auf die Köpfe der Jünger setzt. Ein Feuer, das auch sie nicht verletzt sondern mit Gottes Kraft erfüllt. Das Feuer als Ausdruck von Energie, Wärme und Geborgenheit ist so zum Symbol für Gottes Dynamik geworden.
Ein weiteres Bild spricht mich an: die schwarzen und orangen Linien deuten in meiner Wahrnehmung Gesichter an, die miteinander im Gespräch sind. Sehr unterschiedlich in Form und Farbe, sind sie sich doch aufmerksam zugewandt im Gespräch. Darin lese ich die noch einmal die Pfingstgeschichte aus der Apostelgeschichte (Apg 2, 1-36). Nach der Sprachverwirrung beim Bau des Turms zu Babel (Gen 11, 1-9) findet die Menschheit durch das Ausgießen des Heiligen Geistes wieder zusammen. Sprach- und Kulturgrenzen, die eben noch trennend waren, werden überwunden. Der Geist führt Menschen aus allen Völkern zusammen. Nicht Mauern und Grenzen, sondern Austausch und Dialog zeichnen Gott und sein Volk aus, so die Aussage dieser Geschichte. Wahrlich brennend aktuell in unserer Zeit.
Wer christliche Werte in dieser Welt retten will, kann dies nicht durch Grenzzäune tun, sondern muss - und wird - im Dialog überzeugen.
So erinnern mich das kantige und das runde Gesicht auf dem Parament auch daran, das Gespräch mit anderen Konfessionen und anderen Religionen zu suchen. Entspannt darf ich mich dabei darauf verlassen, dass dieser Dialog in den offenen Armen Christi geborgen bleibt. Auch Jesus hat ganz bewusst die religiösen Grenzen überschritten als er den Samariter zum Vorbild erklärte oder von der syrischen Frau am Brunnen Wasser erbat. So wie Gott selber erst aus der Vielfalt der Erscheinungsformen für uns erahnbar wird, so tragen auch die verschiedenen Offenbarungen, die Menschen von dem einen Gott beschrieben haben, dazu bei, ihn zu verstehen.
Wenn Juden und Moslems betonen, dass Jesus nicht Gottes Sohn, sondern sein Prophet ist, dann steckt da die durchaus berechtigte Sorge drin, statt einem Gott mehrere anzubeten.
Wenn unsere katholischen Geschwister neben der Vergebung auch die Notwendigkeit betonen, selber würdig zu leben und sich nach Kräften auf Gott zu zu bewegen, dann steckt da die berechtigte Sorge drin, Gottes Gnade zu billig - ohne eigene Konsequenzen zu verschenken.
Es lohnt, im Dialog auch mit dem Fremden zu bleiben! Der Dialog hilft mir, meine eigene Tradition besser zu verstehen und der Dialog hilft mir, mein Herz offen zu halten für die Weite Gottes.
Noch eine andere bekannte Geschichte steckt in dem Gesicht mitten in den Flammen: Der Prophet Jeremia klagt vor Gott, dass das Volk seine Warnungen nicht hören will. Er beschließt zu schweigen und stellt dann fest: „Aber das Wort Gottes ward in meinem Herzen wie ein brennendes Feuer, in meinen Gebeinen verschlossen, dass ich's nicht ertragen konnte; ich wäre schier vergangen.“ Gottes Geist drängt heraus. Sein Geist erfüllt uns. Begeistert werden wir von ihm erzählen. Unser Mund fließt über vom Lob Gottes.
Dabei lande ich dann bei dem für mich letzten Bild: Ganz nebenbei erinnert die Form des segnenden Jesus auch an den Kelch des Abendmahls - Gottes Segen für alle Sinne. Symbol für die Gemeinschaft, in die wir an seinem Tisch geladen sind. Eine Erfahrung Gottes, die wir mit allen Sinnen machen dürfen. Besonders eindrücklich dort, wo der Kelch - wie auf dem Parament dargestellt - die Grenzen durchbricht und Unterschiedlichstes verbindet.